Rezension: Tausend und eine Macht – Marketing und moderne Hirnforschung (Werner T. Fuchs)

Habe den Mut…

dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. oder: Auch wenn derzeit die ungeheuerlichen Schlussfolgerungen der Hirnforschung "trendy“ sind, so darf ich mir kraft meines Verstandes selbst ein Urteil bilden.

Als Konsequenz "moderner Erkenntnisse“ der Hirnforschung fließen deren Produkt(e) in andere Lebensbereiche, hier ins Marketing ein. Deren Vertreter – wie Werner T. Fuchs – bedienen sich eines respektlosen Absolutheitsanspruchs, der mir geradezu wehtut. Wie bei anderen "Trends“ ("Clienting“, NLP, etc.), die sich bei Nahsicht als alter Wein in neuen Schläuchen, geschickt etikettierte Sammlung von Binsenweisheiten oder als (manipulativ) ausgeformtes, an sich durchaus intelligentes Kommunikationsmodell entpuppen, liegt auch hier ein diffus strukturierter „Ratgeber“ vor, der eher geeignet ist, Verwirrung als Erkenntnis zu mehren.

Die im Vorwort a la Anleitung "Philosophie – leicht verständlich erklärt“ (…) "Wer bin ich? Wer ist der andere? Weil es in "1001 Macht“ um diese Fragen geht…‘ genährte Hoffnung wird enttäuscht. Gleich darauf fällt der erste Widerspruch der zugrundeliegenden Theorie, die per se einen freien Willen sowie Ideen wie Vernunft, etc. anzweifelt, bestechend auf: Wie soll ich als Leser, wenn "alles limbisch“ ist, der Aufforderung folgen und mein Verhalten ändern? Oder bin ich gar nicht ganz normal? Ist das bei mir ausgelöste Gefühl heftigen Widerspruchs (zu dessen Hintergrund ich gerade eine muntere Fachdiskussion mit Nida-Rümelin, Prinz, Roth, etc. führe …) etwa auf mein falsch verschaltetes neuronales Netz zurückzuführen oder "schlechte Gene“?

Heutzutage modern und oft praktiziert werden bei der ausschnittsweise vorgetragenen Argumentation für die o. a. These bewusst ins extreme übersteigerte, von niemandem Vernünftigen geäußerter Grundgedanken ("Der Mensch trifft seine Entscheidungen ausschließlich rational…“) angegriffen. Ist das so wirklich neu, dass ein Gedanke, in diesem Themenzusammenhang ein Marketinggedanke, auch innere Bilder und Gefühle auslöst? Wer behauptet, wir träfen unsere Entscheidungen ausschließlich rational? Mit einer gewissen geistigen Reife sowie der Fähigkeit und Bereitschaft zum ehrlichen Nachdenken über sich selbst, kann ich mir durchaus bewußt machen, dass ich den "dicken“ Wagen nicht (nur) wegen seiner passiven Sicherheit, sondern auch deswegen kaufe, weil Herr Nachbar gelb vor Neid hinter der Gardine zuschaut… ‚ um, abzuwägen, ob mich das wirklich weiterbringt – oder?

Der Nutzen als Gegenwert für 29,80 € fällt gering aus: Die skizzierten Instrumente sind zum guten Teil in seriösen Analysen enthalten (z. Bsp: erweiterter, simulierter oder tatsächlich durchgeführter Augenkameratest nach Vögele), die Darstellung ist unzusammenhängend, hingeworfene Schlagwörter zerreißen den Text.

Und dann wird unter dem Schlagwort "Vereinfachung, Das Einfache in Aktion“ George W. Bush angeführt ("Wenn das Komplexe schon nicht steuerbar ist, dann braucht es einen Bush zur Beruhigung. Das Einfache will einfache Sprecher, wenig Text, starke Bilder auf Flugzeugträgern und altmodische Kulissen“). Ohne auf Marketing-Ethik einzugehen (auch der amerikanische Präsident hat ja versucht, der(Welt-)Öffentlichkeit etwas zu verkaufen – die Folgen kennen wir ja …) – so viele für einen hellen Denker leicht erkennbare, falsche Grundaussagen und die abgeleiteten Schlüsse tun weh!

Fazit: Auch wenn mir als Referenzen herangezogene "anerkannte Psychologen und Hirnforscher“ Fachleute attestieren, ich sei nicht bei "Verstand“, oder dieser sei ja sowieso eine "Illusion“ – ich bilde mir kraft dieser "Illusion“ meine Meinung – was denn sonst!

Diese Kritik kann nicht als persönlich missverstanden werden, lebte der Autor nach seinem eigenen Weltbild, so wäre sein limbisches System auch für dieses Werk verantwortlich. Die sympathisch-offene private Schicksaldarstellung mildert das nicht ab, sie muss getrennt vom Werk betrachtet werden. Auf das Buch, dass aus diesen Ansätzen entstehen könnte – Erkenntnisse über das Leben mit einem behinderten Kind, das Loslassen-Können aus Sicht eines Betroffenen, darauf freue ich mich schon.

Nachtrag

Nachdem diese Rezension auf AMAZON®

veröffentlicht wurde (siehe hier), meldete sich der Autor persönlich/telefonisch bei mir um mich dazu zu bewegen, diesen zu korrigieren. Ich konnte ihm dieses nicht zusagen, verfasse ich doch Rezensionen nicht im Überschwang irgendwelcher überschäumender Gefühle, sondern nach mehrmaligem Durcharbeiten der Lektüre. Immerhin habe ich ihm zugesagt, das Werk nochmals durchzuarbeiten, und dann ggf. meine Ansicht und die Rezension zu revidieren. Leider ergab jedoch die nochmalige Durchsicht eher eine Bestätigung meiner Ansicht denn eine Korrektur. Ich habe mehreren Bekannten zusätzlich folgende Testfrage gestellt: "Nehmen wir einmal an, Sie hätten gerade irgendeine Kaufentscheidung getroffen, beispielsweise die Entscheidung für eine Versicherung, eine neue Einbauküche oder dergleichen, und Sie würden dann beobachten, wie der Verkäufer oder die Beraterin freudestrahlend Ihr Haus verlässt, und beim herausgehen ebendieses Buch mit der Bemerkung "Klasse Anleitung, es wirkt: Jetzt brauche ich das nicht mehr!“ in Ihren Mülleimer wirft, und Sie würden – natürlich neugierig geworden, es wieder herausfischen und dann dort drin die Anleitung lesen, wie man Sie gerade "limbisch manipuliert“ zu einem intelligenz- und kritiklosen Konsumenten hypnotisiert hat – wären Sie sich mit der Kaufentscheidung immer noch so sicher, wie vorher? Wäre da immer noch das "gute Gefühl, einen guten Kauf gemacht zu haben“ präsent? Oder würden Sie spontan nach der Telefonnummer der Firma suchen und umgehend die Stornierung veranlassen? 100% der Befragten würden natürlich sofort kündigen – gesundem Menschenverstand sei Dank!